Negotiating the Social Relevance of Religious Knowledge: Muslim Scholarship and Islamic Law in the Pre-Modern Sahara, 1600-1800
Vertretungsprofessur, April 2019-März 2022
PD Dr. Ismail Warscheid
Meine Forschungsarbeit befasst sich mit der Geschichte der muslimischen Gelehrsamkeit und des islamischen Rechts in den westlichen Teilen der Sahara während des 17. und 18. Jahrhunderts, einer Periode der nord- und westafrikanischen Geschichte, die noch weitgehend unerforscht ist. Seit dem späten Mittelalter hatte die Verbreitung der islamischen Gelehrsamkeit und der islamischen Rechtsinstitutionen einen transformativen Einfluss auf die Agrar- und Hirtengesellschaften der Sahara. Jüngste Forschungen haben gezeigt, wie muslimische Gelehrte in Oasen oder unter Nomadengruppen eine zentrale Rolle bei der Förderung literarischer Formen der kulturellen Kommunikation und des kulturellen Ausdrucks spielten. Es hat sich auch gezeigt, dass die von muslimischen Rechtsgelehrten ausgearbeiteten theologischen und rechtlichen Modelle entscheidend zur Rassifizierung der Beziehungen zwischen der sesshaften Sahelbevölkerung und Saharanomaden beigetragen haben. Mein Projekt stützt sich auf nicht edierte Fatwa-Sammlungen und andere arabische Manuskripte aus Südalgerien, Mali, Mauretanien, Marokko und Niger und versucht, diese beiden Forschungsrichtungen zusammenzuführen, indem es eine transregionale vergleichende Perspektive einnimmt, die Methoden der Geistes- und Sozialgeschichte kombiniert. Mein Ziel ist es einerseits zu zeigen, wie in der Sahara ein gemeinsamer intellektueller Raum entstand, der verschiedene autonome Gelehrtengemeinschaften miteinander verband, und dass dieser Raum eine spezifische akademische Dynamik hervorbrachte. Zum anderen bewerte ich die soziale Relevanz der Wissensproduktion in der Region: Wie trug die Arbeit muslimischer Gelehrter zur Gestaltung gesellschaftlicher Ordnungsformen in Gebieten bei, die sich der direkten administrativen Kontrolle des Staates entzogen und deren Bewohner sich selbst durch Institutionen regierten, die auf gemeinschaftlicher Autonomie, Abstammungsstruktur und Clansolidarität beruhten? Obwohl ich mich hauptsächlich mit dem islamischen Rechtsdenken und der islamischen Rechtspraxis befasse, betrachte ich das Aufblühen der Fiqh-Studien in der vormodernen Sahara als Teil eines größeren Akkulturationsprozesses, der auf der Popularisierung von drei Hauptdisziplinen der muslimischen Gelehrsamkeit beruht: Recht, Theologie (kalām) und Sufismus (taṣawwuf). Die Interaktion zwischen diesen drei Wissensgebieten und ihre sozialen Auswirkungen bilden den übergreifenden Rahmen für mein Projekt.